Montag, 11. Oktober 2010

Ui, gleich noch mehr gute Presse.






Auf dieser Welt glücklich zu sein
Torge Kübler zeigt "Dantons Tod" bei den Landungsbrücken

"Ich bin nicht frei und kann nur wählen, welche Diebe mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen." Rio Reiser hätte das gefallen. Dass "Dantons Tod" hier, im Frankfurter Theater Landungsbrücken, nicht mit Danton und Julie und den Damen am Spieltisch beginnt, nicht mit Julies "Glaubst du an mich?" noch mit Dantons "Ich liebe dich wie das Grab", sondern mit Rio Reiser respektive mit "Keine Macht für niemand" von Ton Steine Scherben. Doch so einfach macht es sich Torge Küblers Inszenierung dann doch wirklich nicht, dass sie Büchners großes Drama auf die Botschaft einer Anarchohymne für Generationen reduzierte.

Sie ist im Gegenteil alles andere als eindimensional. Programmatisch aber ist dieser revueartige Beginn gleichwohl. Nicht nur, weil Ton Steine Scherben hier einen Ton vorgeben, der die äußerst knappen und zugleich ungeheuer dichten eineinhalb Stunden fortan grundiert. Vielmehr ließe sich allein anhand dieser Eröffnung und des einigermaßen abenteuerlichen musikalischen Bogens im weiteren Verlauf - von "Keine Macht" über "Oh du schöner Westerwald" und Hal Davids und Burt Bacharachs "Close to you" zu Cole Porters "I love Paris" zum Finale - ermessen, worum im Kern es Küblers Inszenierung geht.

Um das Verhältnis von Utopie und Wirklichkeit nämlich, um die Revolution mit ihrem nicht nur blutigen, sondern mitunter auch banalen, ja klammheimlichen Scheitern. Es geht um große Träume und ihr allmähliches Verblassen vor den Zumutungen des Alltags. Sowie und keineswegs zuletzt um die großen und kleinen Erzählungen der Menschheit, kurzum: Die Aussicht auf eine andere, eine bessere Welt hier, das kleine Glück des Spießers dort, richtet man es sich nach der juvenilen Aktivistenphase doch lieber im Reihenhäuschen ein.

Kübler begreift Büchners Text dabei als immer schon collagenartig gedachtes Stück und lässt die drei Schauspieler auf mal kalt und gleißend hell erleuchteter, dann wieder in warmes Licht getauchter Bühne in schneller, dichter Folge und nur durch Blackouts getrennt von einer Rolle in die andere und von einer Szene zur nächsten wechseln. Und so sieht man eben noch St. Just und Robbespierre im Nationalkonvent, dort Tim Stegemann und Björn von der Wellen als Danton und Desmoulins im Kerker, dann zu dritt im Chor als Volk oder Stegemann mit Maja Hoffmann als Danton und seine Frau Julie agieren. Oder auch nicht.

Denn im Grunde gibt es in dieser Lesart keine klar gezeichneten Figuren, nur abstrakte Charaktere. Menschen, die für etwas stehen, sei es die kalte Macht des Technokraten, den blinden Eifer oder auch den Überzeugungstäter, den Zyniker, den Existentialisten und die Liebende, den Zweifel, den Stolz und die Verzweiflung, in einem Wort: für ein Gefühl, vor allem aber: eine Haltung. Und, immer wieder, die von Heiner Müller ausgeborgte Furcht "vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein".

Das mutet Schauspielern wie Publikum wahrlich eine ganze Menge zu, geht aber dank der drei hochkonzentrierten Schauspieler und einer bis ins Detail präzisen Inszenierung glänzend auf. Und "Dantons Tod" erweist sich in dieser Inszenierung als zeitloses Drama, als subtile Variation der in jeder Generation neu formulierten Gretchenfrage, wie sie sich im 21. Jahrhundert und mithin nach dem ausgerufenen Ende aller Utopien womöglich dringender noch stellt denn je. Büchner, darf man vermuten, hätte diese Lesart seines "Dantons" durchaus gefallen. Christoph Schütte

Weitere Vorstellungen vom 26. bis 29. Oktober im Theater Landungsbrücken.

Keine Kommentare: