Donnerstag, 1. Oktober 2009

Sie haben Presse III - Das Strandgut








FUSSING AND FIGHTING

Landungsbrücken spielen Horvaths »Glaube, Liebe, Hoffnung«
Beatles statt Chopin. »We can work it out« – in der Stevie-Wonder-Version – statt des vom Autor empfohlenen Trauermarsches. Vom ersten Ton an läßt Tim Egloffs Inszenierung von Ödön von Horvaths »Glaube, Liebe, Hoffnung« im Frankfurter Landungsbrücken-Theater aufhorchen.

Nur so viel vorweg: Experimentell oder gar verfremdet wird das Horvath-Stück durch diesen unelegischen Einstieg nicht. Aber es kommt rhythmischer, offener daher. Mit Beat eben. In einer knappen Stunde treibt der Regisseur den so unnötigen, wie zwingenden Untergang der jungen Unterwäscheverkäuferin Elisabeth über die Lagerhallenbühne an der Gutleutstraße. Und weicht dabei kaum einen Jota von der Textvorlage ab.

Im Wirtschaftskrisenjahr 1932 nach einer angeblich wahren Begebenheit verfaßt, bleibt das Drama frappierend aktuell. Schau an: Die uns so geläufige These etwa, daß Kürzungen der Sozialhilfe die Eigeninitiative fördern, war schon lange vor der Entdeckung des Prekariats ein gängiges Topos der Macht. »We Can Work it out« gerinnt vor diesem Hintergrund freilich zu einem ironischen Zitat, zum augenzwinkerndem Gruß an alle Obamas der Gesellschaft: »No, we can’t«. Und von wegen: »No Time for Fussing and Fighting, my Friend«.

Das Gegenteil ist der Fall: Elisabeth will dem Anatomischen Institut ihren Körper vermachen – für eine humane Abwrack-Prämie von 150 Mark. Ihr fehlt das Geld für den Gewerbeschein, den sie als Hausiererin braucht, und für die Strafe, die ihr aufgebrummt wurde, als sie ohne Lizenz erwischt wurde. In ihrem tapferen Kampf verstrickt sich die Unglückliche immer tiefer im Geflecht von Gesetzen und Verhaltensnormen, von Sanktionen und Konventionen. Bis sie, im Räderwerk der Egoismen zermalmt, nach »Glaube, Liebe und Hoffnung« auch noch ihr Leben fallen läßt: buchstäblich, von der Brücke. Urrgh? Nur keine Bange: Weil der stets so nahen Rettung immer wieder die simpelsten Eitelkeiten im Wege stehen, bleibt Elisabeths Suizidkarriere nicht ohne komische Züge.

Drei Schauspielerinnen genügen Egloff, uns den Countdown miterleben zu lassen. Und diese machen das einfach klasse: Maja Hofmann gibt die verzagende Elisabeth auf der sozialen Abwärtsspirale. Ihr steifbeiniger, kaum mehr kontrollierter (Toten-)Tanz zu »We Can Work it Out« und ihr leeres Wahnwitz-Lachen gehören zu den Bildern, die haften bleiben. Nur für den Tod scheint sie etwas zu hübsch. Die knapp 20 Restrollen werden von Lisa Hofer und Sophie Melbinger gespielt: ein Duo furioso im Partner-Look, das mal chorisch, dialogisch, mal in Doppelrolle agiert. Und das gelungen demonstriert, was Theater alles (mit uns machen) kann. Ob der Polizist Alfons Klostermeier, die Hure Maria, der Oberpräparator oder die Miederwaren-Grossistin Irene Prantl – wir erfahren sie alle. Und auch, daß es hier auf keinen Einzelnen ankommt. Die schwarz umhüllte Bühne (Anke Niemann) zählt drei Stühle und zwei kleine Tische. Eine gezielte Beleuchtung doppelt die Handlung im Schattenreich der kahlen Hallenwand.

In den Landungsbrücken hat Egloff bereits Felicia Zellers »Bier für Frauen« inszeniert – ebenfalls mit drei Schauspielerinnen. Das scheint Methode zu haben. Und gefällt ungemein.

Lorenz Gatt

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